Weinheim / Metropolregion Rhein-neckar – Die alte Heimat kann man sich nicht aussuchen. Man wird in sie hineingeboren. In früheren Zeiten verbrachte man im Normalfall auch sein Leben dort. Wenn nicht wirtschaftliche Not oder Vertreibung die Menschen dazu zwangen, ihre Heimat zu verlassen. Deshalb war Heimat auch schon immer ein geographischer und sozialer Raum, den man sich durch einen schöpferischen Prozess aktiv aneignen kann, wie es die Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus formuliert. Ein Raum, der Geborgenheit und Sicherheit gibt und doch ausreichend groß ist, um für andere und Unbekanntes offen zu stehen.
In der Auseinandersetzung mit einem über 50 Jahre alten Filmdokument, in dem fünf Weinheimer ihr Leben schildern, hatte der Weinheimer Journalist Thomas Veigel die Idee, dieser Definition von „alter Heimat“ die Geschichten von Menschen gegenüber zu stellen, die im Ausland geboren wurden, ab den frühen 1960er-Jahren nach Weinheim kamen und sich hier eine neue Heimat erarbeitet haben – ohne die alte zu vergessen. Eine enorme kulturelle und persönliche Leistung.
Die Veranstaltung mit Film und Podiumsgespräch findet am Sonntag, 16. Februar ab 11 Uhr im Kino Modernes Theater im Rahmen der baden-württembergischen Heimattage in Weinheim statt. Der Eintritt ist frei.
Die Matinée wird veranstaltet von Thomas Veigel für den Grünen Salon sowie von Alfred Speiser und dem Modernen Theater.
Zum Podiumsgespräch hat Thomas Veigel, der sein journalistisches Handwerk in den frühen 1980er-Jahren als Lokalreporter der RNZ in Weinheim und an der Bergstraße lernte, drei Töchter von damals so genannten Gastarbeitern eingeladen: Rosina Basile aus Italien, Stella Kirgiane-Efremidou aus Griechenland und Carmen Salazar aus Spanien kamen mit ihren Familien in den 1960er-Jahren nach Weinheim. Den „Gastarbeitern“ hat Deutschland einen guten Teil seines Wohlstandes zu verdanken.
Vierter Gast ist Aron Mazi Asgari, der als Christ im Iran verfolgt wurde und im Jahr 2015 nach Deutschland geflohen ist. Im Unterschied zu den anderen Gästen hat er seine alte Heimat verloren – eine Rückkehr ist aus heutiger Sicht nicht möglich.
Die Besucher der Matinée werden auch eine Premiere erleben: Zum ersten Mal wird Rosina Basile öffentlich Lyrik vortragen, die sie aus dem Gefühl des Hin- und Hergerissen-Seins zwischen der alten und der neuen Heimat geschrieben hat.
Der Film
Grundlage der Veranstaltung ist ein Film. Jahr 1966 begann der Filmemacher Michael Fengler, damals enger Mitarbeiter von Rainer Werner Fassbinder und 1971 Mitgründer und erster Geschäftsführer des Filmverlags der Autoren, mit den Aufnahmen für “In einem Ort wie Weinheim – Soziogramm einer Kleinstadt”. Die Familie von Michael Fengler war 1945 aus dem damaligen Königsberg in Ostpreußen nach Mörlenbach gekommen, wo sich der Vater als Arzt niederließ. Wegen lange offener Finanzierungsfragen konnte der Film erst 1974 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks fertiggestellt werden. Erhalten blieb nur ein 40-minütiger Zusammenschnitt des 90-minütigen Films unter dem Titel “Selbstdarstellung – Lebensläufe aus einer Kleinstadt”. Fünf Weinheimer erzählen darin aus ihrem Leben: Wilhelm Riedel, Wolfgang Daffinger, Hans Hohmann, Emil Rensland und Leonhard Seib. Alle fünf sind in Weinheim geboren, haben hier die Schule besucht, gewohnt und gearbeitet und sind hier gestorben: Alte Heimat in Reinform. Sie zeichnen ein Bild ihrer Heimat vom 1. Weltkrieg bis in die frühen 1970-er Jahre. Die Biografien der fünf Männer sind zum Teil miteinander verknüpft und von der Firma Freudenberg geprägt. Auch mit den Gästen auf dem Podium gibt es Berührungspunkte: Wolfgang Daffinger und Hans Hohmann kann man auch als Integrationskatalysatoren bezeichnen. Dieses besondere Filmdokument wird erstmals im Kino gezeigt.
Der Hintergrund
Weinheim ist wie viele andere deutsche Städte ein Schmelztiegel der Kulturen und neue Heimat für Menschen aus anderen Ländern. In Weinheim leben etwa 7800 Ausländer aus 120 Nationen, das sind 17 Prozent der Gesamtbevölkerung. Davon sind bis zu 1000 Flüchtlinge und Asylsuchende. Einen großen Teil der ausländischen Bevölkerung stellen die ehemaligen Gastarbeiter und ihre Nachkommen. 1960 kamen als Erste 259 Spanier nach Weinheim, Gastarbeiter anderer Länder folgten. 1979 lebten 3846 Spanier in Weinheim, was einem Anteil von knapp neun Prozent der Bevölkerung entsprach. Die zweitgrößte ausländische Nationalität waren 1979 die Türken mit 894 Personen, an Position drei folgten die Italiener mit 347 Personen. Wenn man alle Einwohner mit Migrationshintergrund (im Ausland geboren oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren) zählt, kommt man in Baden-Württemberg auf einen Anteil von fast 40 Prozent. In Weinheim dürfte dieser Anteil nicht niedriger sein.