Mannheim / Metropolregion Rhein-Neckar.(30.10.2023) Auf die komplexen Notlagen der Frauen reagieren, sie in ihrer Lebenswelt erreichen – nach zehn Jahren Amalie ziehen die Verantwortlichen Bilanz. Am 7. November feiert die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution ihren Geburtstag. Im EinTanzHaus soll das Projekt gemeinsam mit geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sozialem gebührend gefeiert werden. Zu den Grußwortrednerinnen gehört auch Staatssekretärin Dr. Ute Leidig. Beim Pressegespräch sind sich die Verantwortlichen einig: „Am Ziel sind wir noch lange nicht!“ Prostitution verstoße in weiten Teilen Deutschlands und auch in Mannheim ganz klar gegen die Menschenwürde, sagt Amalie-Leiterin Astrid Fehrenbach. Umso wichtiger sei es, jetzt die Beratungsarbeit und die Hilfen zu sichern, und insbesondere die Arbeit mit Aussteigerinnen entsprechend zu fördern. Mit dem Projekt „Horizonte Plus“ unterstützt Amalie in Mannheim Frauen, die aus der Prostitution aussteigen möchten. Neben der psychischen Stabilisierung und einer umfassenden Begleitung im Ausstieg steht die Aufnahme einer existenzsichernden Arbeit im Mittelpunkt. „Jede Frau, die wir mit diesem Projekt erreichen, ist eine Frau mehr, die sich aus der Spirale aus Armut, Abhängigkeit, Angst und Prostitution befreit.“
„Frauen sind von Gewalt geprägt und bleiben es oft dauerhaft“
Als Dora, die junge Frau aus Bulgarien, die Tür der Beratungsstelle erreicht, scheint eigentlich alles zu spät. Ohne jede Absicherung, ohne Einkommen und ohne Geld in der Tasche, wendet sie sich an Amalie. „In der Wohnung, in der sie untergekommen sei, habe man ihr den Strom abgestellt, berichtete Dora mir damals“, erzählt die Amalie-Sozialarbeiterin Lea Hepp. „Sie hatte keinen Mietvertrag, keine Meldeadresse, keine Krankenversicherung.“ Zu spät habe Dora gemerkt, dass der versprochene Job an der Bar nicht existiert, zu spät wurde ihr klar, dass der Mann der ab sofort ihr „Chef“ sein sollte, sie ausbeutete, ihr verbot nach draußen zu gehen, um sie zur Prostitution zu zwingen. Gewalt und der psychische Druck habe sie mehr und mehr verängstigt und aufgelöst. Ihre Kinder, die sie in der Heimat zurücklassen musste, habe sie drei Jahre nicht gesehen. Wie gehe es nun weiter? „Mittlerweile hat Dora es geschafft, wieder einer normalen Arbeit nachzugehen und ihr Selbstbewusstsein neu aufzubauen“, sagt Lea Hepp. Die Hilfe kam also doch zum richtigen Zeitpunkt.
Dora ist eine von vielen Frauen, die ihre Situation durch Amalie verbessern konnte. Gemeinsam mit den Amalie-Mitarbeiterinnen entdecken die Frauen Schritt für Schritt neue Perspektiven und fassen Mut. Dies braucht Zeit, Vertrauen und erfordert von allen Beteiligten Verständnis und einen langen Atem. Natürlich gibt es Frauen, die es aktuell nicht schaffen, aus der Gewaltspirale rauszukommen, bestätigt Lea Hepp. „Immer wieder rutschen Frauen in ähnliche Abhängigkeitsbeziehungen, in denen sie verachtet, geschlagen und genötigt werden, in die Prostitution zurückzugehen.“
„Wir brauchen klare Ausstiegsoptionen!“
Die Diakonie Mannheim sieht Handlungsbedarf und möchte ihren Appell an die Politik richten. „Wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagt Astrid Fehrenbach, „auch wenn für uns jede einzelne Frau zählt, sind es viel zu viele, die in der Prostitution in Abhängigkeit und Gewalt feststecken.“ Das Thema Prostitution sei zu einem markanten Menschenrechtsthema geworden, sagt auch Diakonie-Direktor Michael Graf. „Wir brauchen deshalb gesicherte Anlaufstellen und eine Beratung, die den Frauen in ihren Nöten zur Seite steht.“ Gleichzeitig aber auch ein gut ausfinanziertes staatliches Ausstiegsprogramm, das die Hürden, über die die Frauen beim Weg in den „normalen“ Alltag stolpern, überwindet. Insbesondere die Wohnungslosigkeit, der unsichere Aufenthaltsstatus vieler Frauen, der fehlende Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, Traumatisierung und häufig auch geringe Sozialleistungen stellen schier unüberwindliche Hindernisse dar, um sich eine Existenz außerhalb der Prostitution aufzubauen.
Gäbe es einen Wunsch zum Amalie-Geburtstag, sagt Astrid Fehrenbach: „Die Gesellschaft muss hinschauen und es braucht einen gesetzlichen Rahmen, der die Menschenwürde schützt. Menschenhandel und Zwangsprostitution muss unterbunden werden.“
Starkes Netzwerk, Anerkennung in Stadt, Gesellschaft und Politik
Erfreulich sei, dass Amalie mittlerweile auf ein starkes und breites Netzwerk an Partnern und Spendern blicken darf, das seinen Anfang im „Runden Tisch Prostitution“ nahm. „Amalie hat in Mannheim mittlerweile einen festen Platz in der Stadtgesellschaft“, sagt Diakonie-Direktor Michael Graf. Die Akzeptanz und Wertschätzung für Amalie führte zu einer hohen fachlichen Anerkennung, um die Amalie zu Beginn der Arbeit kämpfen musste und „dicke Bretter“ zu bohren hatte. Amalie habe eine Strahlkraft, von welcher bundesweit auch andere profitieren, die eine solche Beratungsarbeit aufbauen wollen. „Ohne unsere Ehrenamtlichen, die sich für Amalie und die Frauen engagieren und die Spenderinnen und Spender ginge vieles nicht“, betont Astrid Fehrenbach. „Um Amalie weiterhin nachhaltige Arbeit und schnelle unbürokratische Hilfe zu ermöglichen, sind Spenden unerlässlich – dafür bin ich sehr dankbar!“
Die Beratungsstelle Amalie berät und unterstützt in Mannheim Frauen, die in der Prostitution tätig sind und Frauen, die aussteigen möchten. Sie wurde 2013 gegründet. Viele der Frauen befinden sich in prekären Armutssituationen. Amalie bietet psychosoziale Beratung, Begleitung, medizinische Grundversorgung und Ausstiegshilfen an. Die Beratungsstelle wird finanziert durch die Stadt Mannheim, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg und das Diakonische Werk. Weitere Infos unter www.amalie-mannheim.de, www.diakonie-mannheim.de (JeLa)
Foto DW/Lammer: „Wir sind noch lange nicht am Ziel!“ – Amalie zieht Bilanz. (v.l.n.r.: Anna-Lina Schwede, Astrid Fehrenbach, Leslie Wensky, Lea Hepp und Michael Graf)
Quelle: Diakonisches Werk
der Evangelischen Kirche Mannheim