Frankenthal / Metropolregion Rhein-Neckar.
Landgericht Frankenthal antwortet auf FAQ im Verfahren betreffend die Haftentlassung eines von der Jugendkammer Verurteilten
Bei der Pressestelle des Landgerichts gehen derzeit zahlreiche Anfragen im Zusammenhang mit der Haftentscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts in einer am Landgericht Fran-kenthal verhandelten und dort bereits mit einem Urteil abgeschlossenen Jugendstrafsache ein (Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 6. Oktober 2022 – 1 Ws 184/22). Das Landgericht sieht sich deshalb veranlasst, auf häufig gestellte Fragen zu Ursa-che, Tragweite und Hintergrund der Entscheidung in dieser Stellungnahme einzugehen.
Was ist die tragende Begründung für die Entscheidung des Oberlandesgerichts?
Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass die zuständige Jugendkammer des Landgerichts in dem Fall insgesamt zu langsam, vor allem mit nicht ausreichender Termindichte verhandelt habe. Der Senat hat detaillierte Ausführungen dazu gemacht, wann von einem Verstoß gegen das in Haftsachen und besonders in Jugendsachen geltende Beschleunigungsgebot auszugehen ist. Danach muss ein solches Verfahren möglichst zügig betrieben werden, insbesondere, je länger die Untersuchungshaft des Betroffenen andauert. Die zuständige Kammer hätte bereits bei der Planung und dann auch bei weiterer Durchführung des Verfahrens mehr Termine bestimmen und durchführen müssen. Das OLG hat deshalb den Haftbefehl aufgehoben.
Wie bewertet das Landgericht die Haftentscheidung des Oberlandesgerichts?
Die Aufhebung der Untersuchungshaft bei einem – wenn auch noch nicht rechtskräftig – Verurteilten ist nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für das betroffene Gericht ein schwer erträglicher Zustand. Es steht dem Landgericht aber nicht zu, die Entscheidungen des OLG zu bewerten oder zu kommentieren. Das OLG hat wichtige Hinweise dazu gegeben, wie in Haftsachen zu terminieren und zu verhandeln ist und dabei auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Diese Hinweise müssen sorgfältig analysiert und in künftigen Verfahren beachtet werden. Es muss alles darangesetzt werden, derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden.
An wen richten sich die Ausführungen des Senats des Oberlandesgerichts?
Die Ausführungen des OLG-Senats richten sich in erster Linie an die mit derartigen Verfahren befassten Strafkammern der Landgerichte. Denn die Terminierung in Gerichtsverfahren ist alleine Sache der Vorsitzenden Richterinnen und Richter und unterliegt in vollem Umfang der richterlichen Unabhängigkeit. Die Gerichtsleitung darf hierauf keinen Einfluss nehmen, sie würde sonst gegen diese richterliche Unabhängigkeit verstoßen. Es ist also die Entscheidung des Vorsitzenden, wie, in welcher Dichte und Abfolge die Termine in einem Verfahren bestimmt werden, wie lange die Verhandlungen jeweils dauern und welcher Prozessstoff in diesen Terminen jeweils abgearbeitet wird. Dies geschieht regelmäßig in enger Abstimmung und im Einvernehmen mit allen Prozessbeteiligten.
Warum hat die Kammer nicht häufiger verhandelt und mehr Termine bestimmt?
Dem vorliegenden Verfahren lag ein umfangreicher Prozessstoff zugrunde und die Beweisaufnahme zur Aufklärung der Taten war sehr aufwändig. Nach Auskunft des hier zuständigen Vorsitzenden der Jugendkammer war die Kammer bemüht, möglichst vielen Beteiligten die Teilnahme an den Hauptverhandlungstagen zu ermöglichen, vor allem auch dem Hauptverteidiger, worauf dieser großen Wert legte. Die Termine wurden daher mit allen Beteiligten im Vorfeld einvernehmlich abgesprochen, zu Beanstandungen oder gar Beschwerden kam es dabei nach Mitteilung des Vorsitzenden nicht. Auch den Vertretern der Nebenklage sollte Gelegenheit gegeben werden, an möglichst vielen Terminen teilzunehmen. Es waren viele weitere Personen an dem Prozess beteiligt, auf deren Terminkalender Rücksicht zu nehmen war (vier Berufsrichter inkl. Ergänzungsrichter, vier Schöffen inkl. Ergänzungsschöffen, zwei Verteidiger, mehrere Nebenklägervertreter und Sachverständige). Mit allen diesen mussten sämtliche 57 Prozesstermine abgestimmt werden, was sich als sehr kompliziert erwiesen hat. Vor allem den ehrenamtlich tätigen Schöffinnen und Schöffen, die in aller Regel noch berufstätig sind, fällt es zunehmend schwer, sich eine so große Zahl und Dichte von Terminen freizuhalten, was den Druck zusätzlich erhöht. Auch Sachverständige sind häufig sehr stark ausgelastet.
Zu dieser Vorgehensweise hat sich der OLG-Senat nunmehr deutlich geäußert und dazu ausgeführt, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger oder sonstige Prozessbeteiligte mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsmaxime nur schwer vereinbar sei. Zur Not müssten andere Verteidiger bestellt werden, was hier nach Aktenlage nahegelegen habe.
Hinzu kamen während des Prozesses mehrere Krankheitsfälle, u.a. Corona-Erkrankungen, von Prozessbeteiligten oder Zeugen, die dazu geführt haben, dass fest eingeplante und abgesprochene Termine kurzfristig wieder weggefallen sind oder nur als sog. Kurztermine durchgeführt werden konnten. Erkrankungen haben streckenweise das Verfahren über Wochen lahmgelegt. Auch hiermit hat sich der Senat auseinandergesetzt und auch dies im Ergebnis nicht als ausreichende Begründung für die lange Verfahrensdauer gewertet.
Warum wurde die U-Haft aufgehoben, obwohl der Angeklagte bereits zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und die Haftdauer während des Prozesses nicht gerügt wurde?
Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl Verteidiger als auch Staatsanwaltschaft haben Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Es gilt also weiter die Unschuldsvermutung. Laut OLG fallen Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil zwar weniger stark ins Gewicht, seien aber dennoch zu beachten und zu bewerten. Insgesamt hätten die Verzögerungen hier zu lange gedauert, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Dass die Verteidigung die Verzögerungen während der annähernd zwei Jahre dauernden Hauptverhandlung zu keinem Zeitpunkt gerügt habe, sei laut OLG „zwar befremdlich“, aber unerheblich und mache deutlich, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger mit dem Beschleunigungsgrundsatz nur schwer vereinbar sei.
Haben personelle Engpässe beim Landgericht dazu geführt, dass die U-Haft aufgehoben wurde?
Es gab keine Personalengpässe oder außergewöhnliche Belastungen der Jugendkammer oder des Gerichts insgesamt, die zu der Verfahrensverzögerung geführt hätten. Die Kammer war für das laufende Geschäftsjahr 2022 entsprechend der Anzahl von Verfahren, mit denen zu rechnen war, mit richterlichem Personal auskömmlich ausgestattet. So war es auch in den Vorjahren. Hätte eine Überlastung der Kammer vorgelegen, so hätte der Vorsitzende dies angezeigt und das Präsidium des Landgerichts hätte darauf angemessen reagiert. Diese Verfahrensweise ist beim Landgericht seit Jahren eingespielt. In einer Überlastungssituation kann z.B. eine sog. Hilfsstrafkammer eingerichtet werden; diese übernimmt dann Verfahren an Stelle der an sich zuständigen Kammer. So ist bei dem Landgericht Frankenthal beispielsweise Mitte des Jahres eine Hilfsstrafkammer eingerichtet worden, um eine unvorhersehbar große Zahl von Haftsachen im Bereich von Betäubungsmittelkriminalität (BTM) aufzufangen. Zusätzlich wurde dem Gericht durch das Ministerium der Justiz eine neue Vorsitzendenstelle und neues Richterpersonal bewilligt, um weiter zu erwartende Anklagen in BTM-Sachen zügig abarbeiten zu können.
Ähnlich hätte die Justiz auch reagiert, falls sich in den Jugendstrafsachen ein Engpass abgezeichnet hätte, was aber auch nach Auskunft des Vorsitzenden nicht der Fall war. Die oben aufgezeigten Probleme bei der Terminierung des Verfahrens wären durch eine Ausstattung der Kammer mit mehr richterlichem Personal nicht aufzufangen gewesen. Sie hätten nur durch eine individuell geänderte Verfahrensplanung verhindert werden können, die den in der Entscheidung des OLG aufgezeigten Maßstäben gerecht wird.
QUelle: Landgericht Frankenthal / Foto MRN News Archiv