Speyer/Metropolregion Rhein-Neckar. Mit einer Fülle von Eindrücken, Ideen und Anregungen „im Gepäck“ sind die Teilnehmerinnen an der digitalen Schweiz-Lernreise in das Bistum Speyer „zurückgekehrt“. Vom 6. bis 11. Juli waren Fachreferentinnen aus dem Bischöflichen Ordinariat mit Personalchefin Christine Lambrich und Vertreterinnen der Frauenverbände in dem Nachbarland „unterwegs“. Im Mittelpunkt stand das Thema „Frauen in Leitung“. Das Reiseprogramm beinhaltete Treffen mit Frauen und Männern, die sich in ganz unterschiedlichen Bereichen und Arbeitsfeldern für ihren Glauben und in und für die katholische Kirche in der Schweiz engagieren. Ursprünglich war die Frauen-Lernreise für November 2020 geplant. Durch die Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona- Pandemie war dann aber eine „normale“ Durchführung nicht möglich, so entstand die Idee zu einer digitalen Reise.
„Wir haben durch die Reise und die beeindruckenden Begegnungen mit unseren verschiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern eine sehr gute Vorstellung von den Strukturen und Gegebenheiten der katholischen Kirche in der Schweiz bekommen“, ziehen Monika Kreiner und Annette Bauer-Simons, Mit-Organisatorinnen der Reise und Referentinnen in der Frauenseelsorge im Bistum Speyer eine erste Bilanz. „Wir sind vielen kompetenten, selbstbewussten Frauen begegnet, die sich für eine Veränderung in der Kirche engagieren und uns ermutigt haben, das auch weiter zu tun.“ Und Personalchefin Christine Lambrich ergänzt: „Die Reise kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Jetzt wird es im Nachgang darum gehen, was wir aus dem, was wir gehört, erfahren, gelernt haben, für unser Bistum fruchtbar machen können.“
Die duale Struktur der Kirche in der Schweiz
Ein fundamentaler Unterschied zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und der (deutschsprachigen) Schweiz, das wurde in den Videokonferenzen mit den Gesprächspartnerinnen deutlich, ist die duale Struktur der Schweizer Kirche. Neben der kirchlichen hierarchischen Struktur steht die demokratisch verfasste staatskirchliche Struktur, mit einer Synode als Parlament und dem daraus gewählten Synodalrat als Exekutive. Kirchensteuermittel werden von den staatskirchlichen Gremien verwaltet und vergeben. Der größte Teil der Kirchensteuer bleibt auf kommunaler Ebene, bei den Kirchengemeinden. Sie sind es auch, die über die Anstellung von pastoralem Personal in den Pfarrgemeinden entscheiden und es bezahlen. Allerdings ist die Ausübung kirchlicher Dienste und Ämter auch an die Zustimmung des Bischofs gebunden. Die Bistümer und damit auch die Bischöfe, erhalten nur einen kleinen Teil an Kirchensteuermitteln. Die römisch-katholische Kirche ist vom Staat als Religionsgemeinschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und ist für Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Liturgie und die Diakonie zuständig. Mit der Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts durch den Staat war die Verpflichtung verbunden, neben der hierarchischen auch eine demokratische Struktur aufzubauen.
Das staatskirchenrechtliche demokratische System, in dem neben Männern auch Frauen in der Leitung von Entscheidungsgremien arbeiten, wirkt sich auch auf die Stellung von Frauen in Kirche aus, wie Franziska Driessen-Reding, Synodalratspräsidentin der Katholischen Körperschaft im Kanton Zürich und Renate Asal-Steger, Präsidentin der Römisch- Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und Synodalrätin der römisch-katholischen Landeskirche im Kanton Luzern, berichteten. Durch ihre staatskirchlichen Ämter haben sie die Möglichkeit, Kirche als Entscheiderinnen mitzugestalten. Beide engagieren sich darüber hinaus in Initiativen zur Förderung der Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche. Asal-Steger hat in einer Arbeitsgruppe des Synodalrates an einem Papier mitgearbeitet, in dem „Zehn Schritte zu einer geschwisterlichen Kirche von Frauen und Männern“ formuliert werden. Driessen-Reding unterstützt unter anderem Netzwerke wie das Catholic Women‘s Council (CWC). Die Botschaft dieses im November 2019 in Stuttgart gegründet Netzwerkes lautet „Gleiche Würde – gleiche Rechte“. Was dahinter steckt, erklärte Franziska Zen Ruffinen den deutschen Gästen. Die Mitgliedsorganisationen des CWC haben unterschiedliche thematische Schwerpunkte, teilen aber diese eine Botschaft.
Möglichkeiten, die das Kirchenrecht bietet
Urs Brosi, Kirchenrechtler und Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau, stellte der Reisegruppe Strukturen der Landeskirchen und Rechtsbereiche der katholischen Kirche in der deutschsprachigen Schweiz vor. Auch er zeigte sich überzeugt, dass die staatskirchliche Struktur dazu führt, dass Frauen in der Schweiz gefördert und gestärkt werden, Leitungsfunktionen auch in der römisch-katholischen Kirche zu übernehmen. Brosi gab außerdem einen Überblick über den Einfluss des kanonischen Rechts auf die Stellung der Frauen in der römisch-katholischen Kirche und erklärte, welche Möglichkeiten das Recht bietet, auch nicht geweihten Theologen– und damit auch Frauen – Leitungsverantwortung zu ermöglichen. Möglichkeiten, die, so seine These, von den deutschen Bischöfen bisher nicht ausgeschöpft wurden.
Frauen als Gemeindeleiterinnen
Weitere Unterschiede zwischen der Situation im Bistum Speyer und der in den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz, lernte die Reisegruppe bei Gesprächen mit den Mitarbeitern des Bistums St. Gallen, Franz Kreissl und Dr. Christiane Schubert, sowie den beiden Theologinnen Dorothee Becker, Gemeindeleiterin in der Pfarrei Hl. Geist Basel Stadt, und Pfarreiseelsorgerin Katrin Schulze kennen: In der Schweiz leiten schon seit vielen Jahren Frauen, Theologinnen, Pfarrgemeinden und „das wird im Großen und Ganzen auch akzeptiert“, so Dorothee Becker. Frauen in Pfarrgemeinden, die leitende Funktionen innehaben, können auch diakonische Aufgaben wahrnehmen. Sie haben zum Beispiel die Vollmacht zu taufen oder mit Einzelerlaubnis des jeweiligen Bischofs auch das Recht, bei Trauungen zu assistieren, zu beerdigen und sie predigen in Gottesdiensten. Die Feier der Eucharistie, die Krankensalbung und das Beichtsakrament sind auch in der Schweiz geweihten Priestern vorbehalten.
Von der Junia-Initiative bis zum Donnerstagsgebet
Dorothee Becker setzt sich deshalb auch für eine „Ordination zum sakramentalen Dienst“ ein. Gläubige Menschen, die in der Kirche Dienst tun und von ihrer Gemeinde dafür als kompetent eingeschätzt werden, Sakramente zu spenden, sollen dieser Berufung folgen dürfen. Gemeinsam mit anderen Frauen und Männern hat sie deshalb im Oktober 2019 die Junia-Initiative gegründet. Sie setzt sich für Gleichberechtigung von Frauen in der römisch-katholischen Kirche ein und sammelt unter anderem auf ihrer Webseite Namen von Frauen und Männern, die den Ortsbischöfen zu dieser „sakramentalen Sendung“ vorgeschlagen werden sollen. Sie ist Teil des Netzwerkes Catholic Women‘s Council. Benannt ist die Initiative nach Junia, einer frühchristliche Missionarin und Apostelin, die im 1. Jahrhundert n Chr. lebte.
Eine weitere Initiative zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche lernten die Reiseteilnehmerinnen im Gespräch mit der Seelsorgerin Hildegard Aepli aus St. Gallen kennen. Sie initiierte 2014 das Projekt „Für eine Kirche mit* den Frauen“. Das Kernanliegen des Projekts: „Wir wünschen uns, dass Männer der Kirche in Zukunft nicht mehr ohne Frauen über deren Stellung, Rolle und Funktion beraten und nicht mehr ohne Frauen über die Belange der Kirche entscheiden“. Zur Werbung für dieses Anliegen pilgerte im Mai und Juni 2016 eine Pilgergruppe nach Rom, um auch Papst Franziskus darauf aufmerksam zu machen. Zum Abschluss feierten mehrere hundert Pilger dort einen Gottesdienst im Petersdom. Über das Projekt, das ebenfalls dem Netzwerk CWC angehört, gibt es einen Dokumentarfilm mit dem Titel “Habemus Feminas!”.
Ein weiterer spirituell geprägter Einsatz für eine Veränderung in der Kirche, ist das von der Priorin der Benediktinerinnenklosters Fahr, Irene Gassmann, initiierte Donnerstagsgebet, in dem es unter anderem heißt: „Frauen und Männer sind durch die eine Taufe gleich- und vollwertige Mitglieder der Kirche. Im Miteinander in allen Diensten und Ämtern können sie zu einer Kirche beitragen, die erneuert in die Zukunft geht.“ Seit dem Start am dem 14. Februar 2019 wird das Gebet über die Grenzen der Schweiz hinaus und auch im Bistum Speyer regelmäßig gebetet. Im Gespräch mit Sr. Irene wurde deutlich, mit wieviel Energie sich Ordensfrauen für Gleichberechtigung und Veränderung in der katholischen Kirche einsetzen.
Abschlussgottesdienst und Kirchenführung – Kunstwerk „8 Frauen“
Ihren Abschluss fand die Reise mit einem Gottesdienst, der von der Pastoralreferentin und Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Stephan in Therwil, Elke Kreiselmeyer, geleitet wurde und per Livestream von dort übertragen wurde.
Im Anschluss stellte sie bei einer virtuellen Kirchenführung das dort in der Kirche zu sehende Kunstwerk „8 Frauen“ vor. Es besteht aus zwei Teilen. Zum einen sind auf acht Kassettenfeldern an der Brüstung der Empore die Namen acht biblischer Frauen zu lesen. Diese Felder wirken durch die Maltechnik wie Marmorplatten mit den in Stein gemeißelten Namen, darunter Junia, Phoebe und Lydia. Der zweite Teil des Kunstwerks ist ein Wandbild in Form eines Fragments, das wie ein wiederentdecktes Fresko wirkt. Zu sehen ist eine Gruppe von acht Frauen unterschiedlichen Alters und kultureller Herkunft in moderner Kleidung, die im Gespräch bei Wein und Brot an einem langen Tisch sitzen. Das Kunstwerk stammt von der Künstlerin Corinne Güdemann und wurde im November 2019 bei einer Vernissage vorgestellt.
Link zum Gottesdienststream und der Führung:
https://2go.cam/live/rkk-therwil
Webseiten der verschiedenen Initiativen:
www.geschwisterliche-kirche.ch
www.kirche-mit.ch