Mannheim – Schwarz-gelber Auftaktsieg im Superwahljahr Ypsilantis Kurs führt SPD ins Desaster
Nach den Erfahrungen der letzten Monate hat Hessen eine stabile Regierung gewählt. Mit 53,4 Prozent hat das bürgerliche Lager aus CDU und FDP jetzt einen komfortablen Vorsprung vor SPD, Grünen und Linken mit zusammen 42,8 Prozent. Für eine Mehrheit der Befragten war eine schwarz-gelbe Koalition die beste Option. Ermöglicht hat dieses Ergebnis die FDP mit Zugewinnen von 6,8 Prozentpunkten. Allerdings steht fast ein
Drittel der FDP-Wähler prinzipiell der CDU näher.
Ausschlaggebend für den Wahlausgang ist eine orientierungslose hessische SPD, die ihre 2008 zurückgewonnene Stärke selbst verspielt hat. Nach Wortbruch und parteiinternem Chaos hat sie ein signifikantes Image- und Integritätsproblem, hervorgerufen vor allem durch die jetzt zurückgetretene Landeschefin Andrea Ypsilanti. Für 81 Prozent der Hessen trägt sie große oder sehr große Schuld an den SPD-Verlusten.
Als Partei ist die SPD für gerade noch neun Prozent am ehesten glaubwürdig, 26 Prozent nennen hier die CDU, 16 Prozent die Grünen, 14 Prozent die FDP, 26 Prozent sagen “keine Partei”. Beim Ansehen stürzt die Landes-SPD auf der +5/-5-Skala von 0,9 vor einem Jahr jetzt auf minus 0,5. Als Bundespartei wird sie mit 0,8 (2008: 0,9) deutlich besser und ähnlich wie 2008 bewertet. Die CDU kann ihr zuletzt stark gesunkenes Image verbessern, hat im Land mit 0,7 (2008: 0,4) aber weiter eine geringere Reputation als die Bundespartei mit 1,5 (2008: 1,1). Die FDP steigert sich bei der Außendarstellung im Land auf 0,7 (2008:0,2), die Grünen erreichen jetzt ebenfalls sichtbar bessere
0,5 (2008: 0,0).
Bei dem nach wie vor wichtigsten Problem in Hessen, Schule und Bildung, hat die CDU weiter ein Defizit: Nur 23 Prozent sehen bei ihr, aber 36 Prozent bei der SPD bildungspolitisch die besseren Konzepte. In den Bereichen Ökonomie und Finanzkrise, vor einem Jahr kaum bzw. nicht auf der Agenda, hat aber die CDU die größere Lösungskompetenz: Vor dem Hintergrund eines massiv gestiegenen Konjunkturpessimismus vertrauen 41 Prozent im Bereich Wirtschaft der CDU und gerade einmal 14 Prozent der SPD. Im Bereich Arbeitsmarkt halten 41 Prozent die CDU und nur 17 Prozent die SPD für am ehesten kompetent. Zur Bekämpfung der Finanzkrise sehen 36 Prozent die CDU und nur 12 Prozent die SPD besser aufgestellt.
Weniger überzeugen kann die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Roland Koch, der weiter extrem polarisiert: Auf der +5/-5-Skala wird der geschäftsführende Ministerpräsident von CDU-Anhängern mit plus 2,7, von SPD-Anhängern aber mit minus 2,0 und von Grünen-Anhängern sogar mit minus 2,6 bewertet. Insgesamt liegt Koch bei 0,0, ein im Vergleich mit anderen Länder-Regierungschefs sehr schwacher Wert. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) kommt auf insgesamt 0,4, gilt gegenüber Koch als sympathischer und eher bürgernah, bei den wichtigen Eigenschaften Tatkraft und Sachverstand hat
der SPD-Spitzenkandidat aber klar das Nachsehen. Letztendlich wollten 41Prozent Koch und 37 Prozent Schäfer-Gümbel als Ministerpräsidenten, 22 Prozent wussten es nicht oder wollten “keinen von beiden”. Allerdings war für 68 Prozent wichtiger, welche Parteien die nächste Regierung bilden und nicht, wer Ministerpräsident wird (23 Prozent).
Das Ergebnis der CDU sichern einmal mehr die über 60-jährigen Wähler: Hier holt die Partei von Roland Koch 46 Prozent, verliert aber drei Prozentpunkte. In allen anderen Altersgruppen kommt die CDU bei geringfügigen Gewinnen auf maximal 33 Prozent. Nachdem die SPD bei den unter 30-Jährigen zuletzt 19 Prozentpunkte zulegen konnte, hat sie hier jetzt Verluste von 19 Prozentpunkten und erreicht 22 Prozent. Bei den 30- bis 44-Jährigen liegt die SPD mit 21 Prozent nur knapp vor FDP (17 Prozent) und Grünen (19 Prozent). Bei Wählern mit Hochschulabschluss fällt die SPD mit 16 Prozent sogar hinter die FDP (22 Prozent), Grüne (25 Prozent) und CDU (29 Prozent) zurück.
Zum Superwahljahr-Auftakt hat Hessen gezeigt, dass bürgerliche Mehrheiten im Fünf-Parteien-System möglich sind. Da die Gründe für das Wahlergebnis fast ausschließlich im Land selbst liegen, taugt Hessen aber nur sehr bedingt als Gradmesser für den Bund. Dennoch hat Hessen für Berlin erhebliche Konsequenzen. Mit einer schwarz-gelben Regierung in Wiesbaden verliert die Große Koalition ihre Mehrheit im Bundesrat. Das strategische Dilemma der SPD bleibt: Sie steht weiter vor der Klärung ihres Verhältnisses zur Linkspartei und damit vor der Entscheidung, ob sie sich als “linke Volkspartei” oder in der Mitte positioniert.
Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.539 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in Hessen in der Woche vor der Wahl sowie auf einer Befragung von 6.175 Wählern am Wahltag. (84 Zeilen à 60 Zeichen; 4.810 Zeichen) Autor dieser Analyse ist die Forschungsgruppe Wahlen.